Lübeck, 24. Oktober 2019 +++ Draghi geht, Lagarde kommt: Was der Wechsel für den Euroraum bedeutet +++ Brexit Ping-Pong geht in die nächste Runde +++ Hoffnung im Handelsstreit: Positioniert sich Trump als Deal-Maker? +++ Fed: US-Wachstum gebremst, erneute Zinssenkung möglich +++ Bauzinsen bewegen sich stabil seitwärts +++ Bestzins für zehnjährige Hypothekendarlehen: 0,46 Prozent (Stand: 23.10.2019) +++

Acht Jahre Mario Draghi: Was bleibt?

„Whatever it takes“ – diese drei Worte Mario Draghis markieren den Beginn der europäischen Krisenpolitik im Jahr 2012. Drei Worte, mit denen der EZB-Präsident damals vermutlich den Euro rettete. Weniger als ein Jahr zuvor, am 1. November 2011, übernahm der Italiener das Amt von seinem Vorgänger Jean-Claude Trichet. Ein undankbarer Zeitpunkt: Die Eurokrise war in vollem Gang und kaum im Amt musste er bereits zahlreiche schwere Entscheidungen treffen. „Mit seinem „whatever it takes“ hat Mario Draghi Ruhe in einen Markt gebracht hat, der zu diesem Zeitpunkt sehr instabil und von Spekulanten dominiert war. Er hat der Politik in den hoch verschuldeten Ländern Zeit für strukturelle Reformen erkauft“, erklärt Michael Neumann, Vorstandsvorsitzender von Dr. Klein. Draghi führte die europäische Notenbank also erfolgreich durch eine turbulente Krisenzeit und setzte in den acht Jahren seiner Amtszeit eine bisher beispiellose Lockerung der Geldpolitik um.

Die Politik der niedrigen Zinsen hält Draghi bis zu seinem Amtsende bei – und muss dafür mittlerweile viel Kritik einstecken. Auch Michael Neumann sieht Versäumnisse: „Mario Draghi hat es nicht geschafft, der Politik ein klares Exit-Szenario aus der ultralockeren Geldpolitik aufzuzeigen und damit den Druck zu erhöhen, nötige Reformen anzugehen. Der Handlungsspielraum der EZB in Krisen ist damit erheblich eingeschränkt und derzeit deutet nichts darauf hin, dass wir in absehbarer Zukunft wieder zur „Normalität“ früherer Jahre zurückkehren.“

Kein leichter Einstieg: Lagarde muss politischer werden

Am 1. November 2019 wird die Französin Christine Lagarde das Ruder der europäischen Zentralbank übernehmen – und sie wird genau wie ihr Vorgänger keinen leichten Start haben. „Inzwischen haben sich viele europäische Staaten an das billige Geld gewöhnt und ihre Verschuldung in der Niedrigzinsphase ausgeweitet. Ein höheres Zinsniveau würden einige Länder aktuell nicht verkraften.“ Die EZB ist damit in einer schwierigen Situation: Einerseits muss sie auf eine Normalisierung der Geldpolitik hinarbeiten, um bei erneuten Krisen handlungsfähig zu sein. Andererseits könnte gerade der Ausstieg aus der ultralockeren Geldpolitik einige Staaten in eine erneute Schuldenkrise stürzen. Was also tun? „Ich hoffe, dass Lagarde ihre guten politischen Kontakte nutzt“, meint Michael Neumann. „Sie muss die Politiker dazu bewegen, fiskalpolitische Maßnahme zu ergreifen, um in konjunkturell schwierigeren Phasen durch staatliche Investitionsprogramme die Wirtschaft zu stimulieren und darüber hinaus Strukturreformen anzugehen.“

USA: erneute Zinssenkung wahrscheinlich

Die US-Wirtschaft bremst weiter ab, während Arbeitsmarkt- und Inflationsdaten jedoch positiv bleiben. Michael Neumann erwartet, dass Fed-Chef Powell auf der kommenden geldpolitischen Sitzung Ende Oktober proaktiv auf die uneinheitliche Entwicklung reagieren wird: „Ich gehe von einem weiteren Zinsschritt aus, kann mir aber auch vorstellen, dass die Fed ankündigt, wieder Anleihen aufkaufen zu wollen.“

Brexit-Chaos und Handelskonflikt: anhaltende Unsicherheit oder Hoffnungsschimmer?

Der Brexit und der Handelsstreit: Zwei Dauerthemen, die seit vielen Monaten politische und wirtschaftliche Unsicherheiten schüren. Wenigstens beim Handelsstreit zwischen den USA und China gibt es allerdings Hoffnung: US-Präsident Trump hat die nächste Zollerhöhungsrunde gegenüber China ausgesetzt und zumindest eine Teileinigung ist in Sicht. Das Brexit Ping-Pong dürfte uns dagegen noch etwas länger begleiten. In einer Woche hätte Großbritannien aus der EU austreten sollen, doch aktuell sieht alles nach einer weiteren Verlängerung aus. Das britische Parlament will mehr Zeit, um über den neuen Brexit-Deal zu beraten. Immerhin, ein No-Deal-Brexit ist unwahrscheinlicher geworden. Auch am Finanzmarkt macht sich ein vorsichtiger Optimismus breit: Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe steigt seit ihrem Rekordtief von -0,71 Prozent am 28. August wieder und befindet sich aktuell bei -0,40 Prozent.

Stabile Seitwärtsbewegung der Bauzinsen

Der wahrscheinliche Aufschub des Brexits und die mögliche Einigung im Handelsstreit setzen nicht nur dem Sinkflug der Bundesanleihen-Rendite ein Ende. Auch die Bauzinsen erreichen in diesem Monat keine neuen Rekord-Tiefstände. Der Bestzins für zehnjährige Hypothekendarlehen verharrt seit mehreren Wochen bei 0,46 Prozent. Weiter bergab wird es vorerst nicht gehen, allerdings auch nicht nennenswert nach oben. „Ich sehe die Bauzinsen in den nächsten Monaten in der Spanne, in der sie sich seit Jahresanfang bewegen“, so die Prognose Michael Neumanns.

Tendenz

Kurzfristig: eingeschränktes Aufwärtspotenzial
Mittelfristig: schwankend seitwärts